Zirkusprojektwochen an Schulen: eine Chance für Schüler/Innen und Lehrer/Innen zugleich

„Sie kann das nicht!“

„Mit dem können sie hier sicher nichts anfangen in diesem Projekt!“

„Der wird sich sowieso wieder daneben benehmen!“

In vielen Schulprojekten, in denen ich als Teamerin eingesetzt bin, werde ich zunächst mit diesen Aussagen konfrontiert. Manche Schüler/innen werden mir als Zirkuspädagogin von ihrer Lehrkraft von vorneherein auf diese Weise vorgestellt. Aus welchem Grund? Weil sie sich nicht perfekt in den Schulunterricht einfügen können, einen erhöhten Bewegungsdrang haben oder vielleicht derzeit auch zu Hause so viel passiert, dass konzentrieren einfach schwer fällt. Dies soll keinesfalls ein Vorwurf an die Lehrkräfte sein, denn ich möchte davon ausgehen, dass sie ihr Bestes geben, um die Kinder unter den Rahmenbedingungen des bestehenden Schulsystem auf ihre Zukunft vorzubereiten. Doch auch die Kinder, die in unserem Schulsystem weniger erfolgreich sind, haben Stärken und Fähigkeiten, die zu anderen Zeitpunkten unter anderen Bedingungen sichtbar werden können. Und hier sehe ich eine große Chance von Zirkusprojekten an Schulen.

Es war der zweite Tag einer Schulprojektwoche im Akrobatikworkshop. Eine Teilnehmerin schlug abseits der Gruppe Räder und überhörte den ersten Aufruf zum Versammeln der Gruppe. „Ja, Tatjana* ist halt Inklusionskind, soziale/emotionale Entwicklung, ADHS. Hat man bisher eigentlich gar nicht so gemerkt!“ informierte mich die Lehrkraft. Ich hätte es auch in den darauffolgenden Tagen nicht gemerkt, hätte ich es nicht gewusst, denn Tatjanas Bewegungsdrang waren in der Woche keine Grenzen gesetzt. Im Akrobatikworkshop war es sogar sehr gut, dass sie motorisch so fit war. Sie fiel mir in einem sehr positiven Sinne auf, da sie sich traute, alle akrobatischen Figuren auszuprobieren, sich oft als erste für entsprechende Positionen meldete und damit auch die anderen Schüler/innen motivierte.

Tatjana ist nur ein Beispiel dafür, wie Kinder und Jugendliche, die sonst im Schulalltag eher anecken, von einem Zirkusprojekt profitieren. Die Bewegung macht Spaß, das Austesten der eigenen Grenzen und das Überwinden von Ängsten birgt Spannung und das erfolgreiche Vorführen sowie der Applaus der Zuschauer/innen bringt Bestätigung. Die nötige Bestätigung, die ihnen im Schulalltag nicht zuteil wird und die jeder junge Mensch braucht, um an sich glauben zu können und ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln.

Tatjana hat in der Projektwoche kein anderes Kind gebissen, wie sie es wohl sonst häufig tut, sie hat motiviert in der Gruppe geübt und die Aufführung mit einem strahlenden Lächeln genossen. Zum Abschluss half sie noch fleißig abbauen und verabschiedete uns mit einem traurigen „Ihr dürft nicht gehen!“ Auch ihrer Lehrkraft ist Tatjana in dieser Woche sehr positiv aufgefallen. „Ich freue mich, dass es ihr in der Zirkuswoche so gut gefallen hat und dass sie sich so gut einfinden konnte. Das hätte ich nicht erwartet! Die Woche hat mir ein ganz anderes, sehr positives Bild auf meine Schülerin eröffnet!“

Ich wünsche mir für alle Kinder wie Tatjana, dass sie die Chance bekommen, ihre Stärken und Fähigkeiten zu zeigen und positive Bestätigung erhalten.

Gerade Zirkusprojekte bieten sich, durch ihre Vielzahl an Möglichkeiten und Feldern hierfür an, denn jedes Kind kann im Zirkus etwas finden, dass es begeistert und zum Ausprobieren und Lernen motiviert.

Für alle Lehrer/innen ist ein Zirkusprojekt die Chance, ihre Schüler/innen von einer anderen Seite kennen zu lernen und Stärken und Fähigkeiten zu erkennen, die sie sonst nicht sehen konnten und an die sie vielleicht im alltäglichen Schulunterricht von dort an anknüpfen können.

*Name geändert

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert