Sei Mutig! Ob Analog oder Digital.

Freitag, 13.März 2020

Vor einer Woche hatte ich Geburtstag. Bin nun 37. Gerade ist Nachkarnevalszeit. Die Nachrichten über ein ansteckendes Virus, das jetzt auch in NRW vermehrt auftaucht, dominieren die Radionachrichten. Ich bin mit meinem Kollegen auf der Fahrt von Köln nach Kerpen zu einer Grundschule. Wir besprechen, was uns dort erwartet und wie der Tagesplan aussieht:

300 Schülerinnen und Schüler, das Lehrerkollegium und eine ganze Klasse Schülerhelfer. Morgen soll die große Zirkusvorstellung sein, heute der letzte Probentag.

Als wir an der Schule ankommen, spüre ich die angespannte Stimmung. Der Hausmeister schraubt gerade den zweiten Desinfektionsmittelspender an den Eingang zur Turnhalle.

Wie am Vortag sind wir etwas früher angekommen. Krisensitzung im Lehrerzimmer. Der Schulleiter möchte das Projekt durchziehen, die Lehrer sind verunsichert. Dann also ohne Zuschauer. Müssen wir die Eltern wieder ausladen? Telefonat mit dem Bildungsministerium. Ab wann sind die Schulen geschlossen? Ab Montag? Ab morgen? Ab sofort? Man ist sich uneins. Es wird emotional. Jeder versucht seinen eigenen Reim darauf zu machen, was das alles bedeutet. Für sich als Berufstätiger. Für sich als Mensch.

Ich versuche zu erklären, dass wir alle Ängste und Sorgen verstehen. Doch wer mich gut kennt, wüsste: Ich bin so ratlos wie die, an die ich mich wende. Kann das Ganze nicht begreifen. Wir bleiben konzentriert und entscheiden, die Aufführungen heute zu machen. Mit den Schüler-Artisten als Zuschauer. Keine Eltern. Kein richtiges Finale. Doch immerhin: Ein kleiner vorzeigbarer Abschluss. Vielleicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber manchmal sind es auch die kleinen Erfolge, die zählen.

Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Die Lawine hatte gerade erst Fahrt aufgenommen und sollte das ganze Wochenende über mich hinwegrollen.

Montag 16. März 2020

Alle Jobs, Unterrichte, Schulprojekte, Veranstaltungen, Theaterauftritte und Festivals abgesagt. Erstmal bis Ende Juni. Ich bin arbeitslos. Von heute auf morgen. Zum ersten Mal in meinem Leben.

Und dann passierte Folgendes: Mein Ärger, meine Wut, meine Fassungslosigkeit und meine Ängste, alles das, konzentrierte sich auf einen einzigen Gedanken: ,Nein!‘ Ein ungestümes, aus meinen inneren Tiefen kommendes ,Nein!‘. Dieses Nein sagte laut: „Du bist nicht arbeitslos! Du bist Künstler und dir wurde gerade Zeit geschenkt. Zeit, die du nun nutzen kannst, um Projekte anzugehen, für die du bisher zu beschäftigt warst. Oder die du aus einer Mischung aus Umtriebigkeit und Sicherheitsdenken vor dir hergeschoben hast. Für die du vielleicht auch zu mutlos warst. Oder zu feige. Was auch immer der Grund war, er spielt nun keine Rolle mehr!“ Ich lauschte diesem Nein und konnte mehr und mehr sehen: Ich bin Unterhalter und Dozent für Jonglage. Ich bin Moderator und Darsteller. Ich bin ein Kreativer. Weshalb all diese Qualitäten nicht nutzen, um mit dieser monströsen Krise umzugehen? Warum Aufgabe, wo so viel Potential für Widerstand ist? Menschen aus der Coaching-Szene nennen das Reframing: Situationen in einen anderen Deutungsrahmen setzen, um aus der Not eine Tugend machen zu können.

Um ehrlich zu sein: Bereits vor diesem Ereignis hatte ich begonnen, meinen beruflichen Werdegang zu reflektieren. Ich spürte: Es war an der Zeit, mich neu zu orientieren. Ich wollte wieder wachsen. Da war wieder diese Neugier, die ich schon länger nicht mehr gespürt hatte.

Aus einem flüchtigen Gedanken heraus entstand die Idee zu einem YouTube-Kanal mit technisch anspruchsvollen und anschaulichen Jonglier-Tutorials. Klar wusste ich, dass es zu diesem Thema bereits 1 Million Videos gab. Drei-Ball-Kaskade. Mit Socken. Oder mit Mülltüten. Oder mit Obst.

Doch ich wollte nicht konkurrieren, mein Fokus war ein anderer: Ich wollte mir Expertise aneignen für die Weiterentwicklungnach dem Grundmuster der Kaskade. Anspruchsvolle Tricks und Techniken, welche die Lust am Jonglieren meiner Zuschauer genauso anregt, wie sich dadurch neue Perspektiven erschließen. Türen und Fenster auffliegen

Als ob das nicht schon herausfordernd genug war, startete ich parallel dazu das Projekt Podcast.

Der Begriff kommt so leicht daher, man begegnet Podcasts täglich duzendfach, wenn nicht öfter. Aber eines ist klar: Ein guter Podcast in Ton und Bild herzustellen ist echt nicht einfach. In PIENE (Podcast ist echt nicht einfach) geht es um Alltäglichkeiten aus der Welt der Kunst und Kultur: Zusammen mit Gästen aus unterschiedlichen künstlerischen Sparten reden. Sich zu vernetzen, Erfahrungen zu teilen und noch mehr Neugierde zu streuen. Doch das Wichtigste kommt hier zum Schluss: Es geht vor allem darum, zu unterhalten.

Dann legte ich einfach los. Ich drehte die ersten Videos, machte Werbung in den sozialen Medien und ich lernte. Ich eignete mir in den folgenden vier Wochen unfassbar viel Wissen an über Film, Schnitt, Bildbearbeitung, Tonaufnahmen, Formate, Lichtwerte, Speicherkapazitäten. Ich studierte ganze Nächte Tutorials, in welchen ich mir Bildbearbeitungssoftware und Schnittprogramme erklären ließ und kam, trotz social distancing, plötzlich wieder in Kontakt mit Freunden und Bekannten, von denen ich einige zeitweise völlig aus den Augen verloren hatte. Ich holte mir viele Tipps und Wissen. Und ich bekam Kontakt

16 April 2020

Und da stehe ich jetzt. Vier Wochen sind vergangen und die Ergebnisse könnt ihr euch gerne ansehen und selber urteilen. Ich habe bereits jetzt von meiner Umstellung auf die digitale Welt profitiert und einige bezahlte Filmaufnahmen machen dürfen. Viele Anfragen und frische Ideen stehen an.

Ich versuche jeden Tag mutig zu sein. So mutig, wie ich eben sein kann. Das kannst du auch. Sei so mutig, wie du sein kannst.

Podcast ist echt nicht einfach

Jonglage Tutorials

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